Ergänzung: Ein Verdeckungsmythos…

… zur Verschleierung der Todesursachen der im April 1945 im Schützenwälchen bestatteten Wilhelmshagener


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Mein Onkel Karl Perschke († 1954), Langfuhrer Allee 23, berichtete damals, dass in seinem Kartoffel- und Futtermittelgeschäft kurz nach der Wiedereröffnung 1945 zwei ihm unbekannte Kunden erschienen. Das war ungewöhnlich. Diese fragten ihn, ob er auch davon gehört habe, dass im Schützenwäldchen, ganz in der Nähe, in ehemaligen Splittergräben, ein Massengrab angelegt worden wäre. Dort hätte man fanatische Nazis aus der Behelfsheimsiedlung „bestattet“, welche die Niederlage des Regimes nicht ertragen konnten und deshalb Selbstmord begangen hätten.

Mein Onkel wusste zu viel, um diese Geschichte zu glauben, äußerte sich aber nicht.

Wahrscheinlich waren die gleichen „Agitatoren“ auch in anderen Geschäften „tätig“, um die Geschäftsinhaber als „Multiplikatoren“ zu nutzen. Ich denke z.B. an die Drogerie der Eheleute Noack, Schönblicker Straße Ecke Lassallestraße.

In seinem Buch „Die Genossen waren eben da und die anderen nicht“ teilt der Autor, Herr Helmut Engel, Folgendes mit: „In der Behelfsheimsiedlung am Schützenwäldchen begehen mehrere Leute Selbstmord, sie werden am Rande des Schützenwäldchens beigesetzt (…)“ (1. Auflage 2007, S.39). Als Quelle gibt er Frau Edith Groh an, der es Frau Noack mitgeteilt hätte, und wer hatte es Frau Groh mitgeteilt?

Eine Überprüfung des Sterberegisters für 1945 der Ev. Kirchengemeinde, sowie der dort vorliegenden Sterbeurkunden und der Liste „Gemeinschaftsgrab“ bzw. „Massengrab im Schützenwäldchen“ zeigt: Von allen im Schützenwäldchen beerdigten Toten wohnten nur Elfriede Ziegenhagen, der Zwangsarbeiter Bruno Stabo und Helmut Ziegenhagen in einem Behelfsheim.

Sie starben aber laut Sterbeurkunden durch Kopfschuss.

Für keinen weiteren dieser Toten ist in den Urkunden „wohnhaft Behelfsheimsiedlung“ angegeben.

Es wurde in der Grabstätte auch keiner der ortsbekannten Nazifunktionäre beerdigt. Deren Namen sind im Buch von Herrn Helmut Engel und im Buch von Herrn Helmut Lehmann „Leben zwischen den Seen“ veröffentlicht.

Obwohl unter den Toten im Schützenwäldchen keine Nazis waren, bemühen sich seit 1945 Agitatoren, die zum Zeitpunkt des Geschehens gar nicht in Wilhelmshagen waren, Interessierten einzureden, dass dort die Nazis „bestattet“ worden wären, welche aus Kummer über Hitlers Niederlage Selbstmord begangen hätten.

Keine Frau, die in den Tod flüchtete und vielleicht sogar ihre Töchter mitnahm, weil sie die körperlichen Qualen und die Demütigungen durch die Vergewaltigungen nicht mehr ertrug, ist deshalb ein „Nazi“.

Mit der Methode der stereotypen Wiederholung solcher Parolen und der Leugnung schlimmer Taten, wird keine ehrliche Versöhnung durch ehrliches Verzeihen erreicht.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass auch nur eine Russin oder ein Russe, die ich persönlich kennenlernte, so unterwürfige Verhaltensweisen der Deutschen wünscht.

Das Zulassen und das Nicht-Anstasten des damaligen illegalen kleinen Friedhofes mit dem hohen Kreuz durch die russische Besatzungsmacht zeigt Takt und Respekt den Besiegten gegenüber.

Im Übrigen hätte es gegen Ende des schrecklichen Krieges keine Mitarbeiterin und kein Mitarbeiter des Wohnungsamtes gewagt, fanatische Nazis, die über entsprechenden Einfluss verfügten, in ein nicht unterkellertes Behelfsheim mit Außenwänden aus Holz einzuweisen.

Viele Wilhelmshagener Bürger rechneten mit schweren Kämpfen, wenn die sowjetischen Truppen die Stadtgrenze erreichten. Auch war die Fürstenwalder Allee eine strategisch wichtige Straße.

Wäre es zu diesen Kämpfen gekommen, hätten die doppelten Holzwände der Behelfsheime keinen Schutz gegen Geschosse oder gar gegen die russischen T34-Panzer geboten.

Eine Einweisung in eine Behelfsheimwohnung hätten Nazi-Funktionäre als einen Versuch empfinden müssen, sie für den Krieg mit dem Tod durch den Krieg zu bestrafen.

 

© Wolfgang Gericke | Berlin, im Mai 2015